Schüler am Haken

Julia Dibbern liest an der IGS Winsen Roydorf

Es ist der vorletzte Schultag und eigentlich hätten die Neuntklässler der IGS Winsen Roydorf nun den letzten Deutschblock vor den Weihnachtsferien. Das haben sie auch, nur fühlt sich der ganz anders an, denn sie sind zu einer Lesung eingeladen.

Julia Dibbern empfängt sie mit ihren Romanen, beginnt zu lesen und lässt sie nicht mehr los. Sie steht auf der Bühne und liest von einem Jungen, der auf einer Klippe sitzt, in die Tiefe gezogen wird, mit den Füßen den Boden unter sich sucht – entspannt zurücklehnen? Fehlanzeige. Nach fünf Minuten sind die Schüler mittendrin oder unter Wasser – wie man will.

„Das war der Teezer“, schließt sie die erste Leseprobe ab und stellt sich vor. Julia Dibbern weiß, wie sie die Fünfzehnjährigen mitnimmt und lässt sie an ihren Romanen, ihrem Leben und Schriftstelleralltag gleichermaßen teilhaben. Das „Making of“ steht den spannenden, gelesenen Auszügen in nichts nach. Sie verdeutlicht, dass ein Leser jedes Buch kurz anliest, das ist der „Hook“. Der Einstieg hat die Aufgabe, den Leser zu fesseln, so dass er anbeißt und „am Haken ist“. Julia Dibbern hält ihren Roman „Wolkendämmerung“ in den Händen und blättert auf. „Seht einmal, hier bei 25% gibt es einen Wendepunkt, bei 50% passiert immer etwas, in Liebesgeschichten auch.“ Was denn? Stille und ein Lächeln.  Besser kann man Schüler nicht zum Mehrwissen und damit Weiterlesenwollen animieren.

Julia Dibbern kennt viele Geschichten und Hollywoodfilme, sie vergleicht Film und Buch, zieht Parallelen und landet immer wieder bei der Schrifstellerei. Der Roman „Wolkendämmerung“ spielt in Kalifornien, dort, wo auch sie jahrelang lebte den „Plot“ entwickelte. Sie berichtet den jungen Zuhörern, dass sie an Universitäten zu Klimathemen recherchiert und mit anderen Autoren die technischen Details diskutiert hat, die ein Spionagethriller 2018 enthält.

Auch mit dem nächsten Buch „Firefly“ gelingt es ihr, die Schüler zu gewinnen. Nach dem Hook sind sich alle einig – hier entwickelt sich eine Liebesgeschichte. Julia Dibbern möchte ehrlich schreiben, Themen benennen, die da sind, das Happy End auch anders denken. Muss ein Held immer durch die Liebe gerettet werden? Kann eine junge Frau in einem Jugendroman auch gehen, wenn es so besser ist. Dibberns Roman „Wenn ich dich nicht erfunden hätte“, lässt die Vermutung im Raum stehen.

Was genau passiert, geschweige denn, wie etwas ausgeht – das verrät Julia Dibbern nicht. Am Ende stehen die Schüler noch lange an dem Tisch, um ihre Bücher anzusehen – ob es am Plot, am Hook, am Cover, an der lebendigen Vortragsweise oder an der sympathischen Schriftstellerin selbst lag – in jedem Fall waren sie „am Hook“ und die Wunschzettel nun etwas länger.

von Katrin Taube